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Zyklus & Arbeit: Mit vereinten Kräften im Flow

vonAmelie Salameham23.03.2023
Autor*innen:
Amelie Salameh, Wera Stein
Mitarbeit:
Eugen Friesen, Gitanjali Wolf
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Als selbstorganisierte Genossenschaft sind wir immer auf der Suche nach neuen Arbeitsweisen, die uns als Individuen stärken und als Team effektiv und anpassungsfähig machen. Es ist kein klassisches New Work Thema, betrifft aber viele Menschen und Teams – das Gespräch darüber und die Auseinandersetzung damit sollte aus unserer Sicht deshalb viel normaler und weniger befremdlich sein. Es geht um: Menstruation.


Im letzten Jahr haben wir uns auf eine Entdeckungsreise begeben, um die Verbindung zwischen dem Menstruationszyklus und unserer Arbeit zu erforschen, auch im Zusammenhang mit Female Leadership und der Theory U. Wir möchten unsere Erfahrungen und Erkenntnisse gerne mit euch teilen. 

Der Impuls für dieses Thema kam aus unserem Teamkreis, der sich um die Teamentwicklung kümmert. Zum ersten Treffen waren alle eingeladen. Es kamen viele der menstruierenden Menschen im Wigwam, keine*r der nicht-menstruierenden Kolleg*innen – aber dazu später mehr. 

Los ging’s mit dieser Frage: “Was für Assoziationen habt ihr bei dem Thema Zyklus & Arbeit?” Danach tauschten wir uns über Wünsche und Bedürfnisse aus. Es fielen Sätze wie „Gerade an dem Tag war dann der seit Monaten geplante Workshop“ oder „Wenn meine Periode beginnt, verstehe ich den einen Satz im Text nicht, egal wie oft ich den lese.“ Wir konnten mit so viel Gesagtem mitfühlen und es tat unheimlich gut, einfach alle zu dem Thema zu hören. Verrückt, dass wir das vorher nie gemacht hatten.

Einblick in unser online Miro-Board mit Post-its zum Thema „Assoziationen zu Zyklus und Job“ Einblick in unser online Miro-Board mit Post-its zum Thema „Assoziationen zu Zyklus und Job“

Einblick in unser Miro „Assoziationen mit dem Thema Zyklus & Job“

Im Anschluss fasste eine Person alles zusammen und teilte dies mit dem ganzen Team. Wir planten ein zweites Treffen, um tiefer einzutauchen und konkrete Schritte abzuleiten. Einige wünschten sich deshalb auch im Austausch mit allen nicht-menstruierenden Menschen zu sein, besonders auch den cis-Männern. Das Treffen startete mit „Period Songs“ und der simplen Frage „Wie geht es mir jetzt damit?“. Diesmal kam auch ein männlicher Kollege und teilte seine Perspektive und Gedanken. Es war ihm wichtig, uns zu unterstützen und er stellte die Frage: “Wie kann ich einen wertvollen Beitrag leisten?”. Wir teilten Empfehlungen, Tricks sowie Lese- und Hörtipps. Für uns eine sehr verbindende Reise.

Gleichzeitig kam ein Angebot von unserem befreundeten Start-Up SISTA. Sie entwickeln eine App, die dabei hilft, besser in Kontakt mit dem eigenen Zyklus zu sein durch Sound-Meditationen. Sie wollten ein Format testen, bei dem sie Firmen das zyklusbasierte Arbeiten näher bringen und Erfahrungen und Wissen teilen, welches sie selbst gesammelt haben. Wir waren eine ihrer Testgruppe, da wir das Gefühl hatten, dass externer Input an dieser Stelle genau richtig war.

Das haben wir im Rahmen unserer Treffen und der Forschungsreise herausgefunden:

  1. Offene Kommunikation über den Zyklus:
    Wir haben erkannt, wie wichtig es ist, in einem sicheren Raum darüber zu sprechen, wie wir uns fühlen und in welcher Phase unseres Zyklus wir uns befinden. Diese Offenheit hilft uns, uns gegenseitig besser zu verstehen und unsere Arbeit entsprechend zu planen. So können wir uns in einer Ovulationsphase die kreativen Arbeiten schnappen, wenn es gut zu uns passt, und in einer Menstruationsphase die Moderation abgeben, wenn wir es brauchen.
  2. Empowerment durch Geschichten für- und voneinander:
    Das ist der Punkt, der sehr offen, kaum zu greifen und gleichzeitig verbindend und wirkmächtig ist. Das Sprechen mit neuen Worten erweitert unsere Wahrnehmung und unser Denken. Das beginnt bei der Benennung der vier Phasen: Follikel-, Ovulations-, Luteal- und Menstruationsphase. Und es gibt kaum ein Ende beim Erleben dieser Phasen. Die eine erzählt von Power um die Zeit des Eisprungs, die andere von hoher Aktivität kurz vor der Blutung, die nächste von Kreativität im Flow, wenn es dann endlich fließt. Sie stehen konträr zu den erwähnten Schmerzen und Konflikten aus Leistungsdruck und Arbeitsunfähigkeit. Sie enthalten gleichzeitig Zugänge zu verschiedenen Arten von Kreativität. Und es gibt Parallelen zu den Geschichten über Wetter, Jahres- und Tageszeiten, die ebenfalls als Zyklen funktionieren. Jede und jeder nutzt und erlebt diese ebenfalls auf ihre*seine Art sowie klimatisch und kulturell geprägt. Im besten Fall ordnen sie Schaffens- und Ruhephasen auf eine gesunde Art und Weise.
  3. Dieser eine Tag:
    Wir haben beim Mapping und im Austausch gesehen, dass es sich bei fast allen um diesen einen Tag handelt, an dem wir uns unproduktiv, ineffektiv oder inkompetent fühlen. Manchmal auch begleitet durch Unterleibs-, Kopf- oder Rückenschmerzen oder ähnliche körperliche Symptome. Ein Tag, an dem wir uns während unseres Menstruationszyklus eine Pause gönnen, hat sich für uns als sehr wertvoll erwiesen. Auf diese Weise können wir unsere Energiereserven wieder auffüllen. Wir haben am Ende keinen offiziellen „Zyklus-Tag“ eingeführt, u.a. weil wir die Transparenz darüber bei den jeweiligen Personen lassen möchten. Wir haben uns ins Bewusstsein gerufen und ermutigt, uns rauszunehmen, wenn wir das brauchen, anstatt gegen unsere Bedürfnisse zu arbeiten. Das Personalteam erinnerte daran, dass wir uns nicht “krank” melden müssen, sondern “arbeitsunfähig” und das kann viele Gründe haben.
  4. Nicht-menstruierende Menschen unbedingt einbeziehen:
    Das Thema Menstruation betrifft viele von uns direkt. Es gibt außerdem Menschen im Team, die nicht mehr menstruieren oder selbst nicht die Erfahrung machen. Wir erkennen, dass alle Menschen verschiedene Zyklen mit Phasen haben sowie indirekt vom Menstruationszyklus durch die Zusammenarbeit im Team betroffen sind. Durch die Einbeziehung von nicht-menstruierenden Menschen fördern wir einen inklusiven und vielfältigen Ansatz, der allen zugutekommt. Das Thema Zyklus erfährt eine Enttabuisierung und Normalisierung. Somit wird die Kommunikation und der Umgang für alle normal und weniger befremdlich.
  5. Interne Teamabläufe können an den Zyklus angepasst werden:
    Wir sind uns bewusst, dass externe Faktoren unsere Arbeitspläne oft einschränken. Also kommt es vor, dass wir eben doch während unserer Menstruation eine Großveranstaltung moderieren, denn die findet eben an genau diesem Tag statt. In dieser Situation müssen wir für uns selbst abwägen, ob wir uns darauf einstellen und es trotzdem gut geht, ob wir durchziehen oder uns vertreten lassen. Bei internen Abläufen können wir uns mehr Spielraum geben. Eine Person, die das Erleben ihres Zyklus gut kennt und strukturiert nutzt, kann z.B. ihr Personalgespräch in der Lutealphase planen, wenn sie diese für die Reflexion und Introperspektive geeignet findet.
Einblick in unser online Miro-Board mit Post-its zu „Gefühle, Empfehlungen, Tipps & Tricks“ Einblick in unser online Miro-Board mit Post-its zu „Gefühle, Empfehlungen, Tipps & Tricks“

Einblick in unser Miro „Gefühle, Empfehlungen, Tipps & Tricks“

Auffällig und überraschend ist, dass wir strukturell fast nichts verändert haben. Erwähnt werden muss an dieser Stelle, dass wir schon immer ein Ruhebett im Büro und seit längerer Zeit Periodenprodukte auf den Toiletten verfügbar haben – für uns ein Standard. Die wirklichen Meilensteine sind die Erkenntnisse, die wir beschreiben. Sie wirken nachhaltig auf der Ebene von Kommunikation und Arbeitskultur.

Nachdem wir uns mit dem Thema auseinandergesetzt hatten, wurden wir von Paula Kemink für ihre Masterarbeit zu “Zyklusbewusstsein in Organisationen” interviewt. In ihrer Arbeit verglich sie unsere Ergebnisse mit dem Theory U-Modell von Otto Scharmer und machte uns bewusst, wie unsere Erfahrungen in einen größeren Kontext passen. Dafür sind wir sehr dankbar!

Die Arbeit ist unter dem Artikel als Download verfügbar.

 

Insgesamt hat unsere Auseinandersetzung mit dem Thema „Zyklus und Arbeit“ uns daran erinnert, wie wichtig Selbstfürsorge, Kommunikation, Inklusivität und Anpassungsfähigkeit sind. Wir sind bestrebt, weiterhin neue Impulse zu erkunden, die unser Wohlbefinden unterstützen und uns als Team voranbringen, und sehen das als wichtigen Teil in der Diskussion um New Work und Female Leadership.

Hier noch die oben erwähnten Lese- & Hörtipps zum Teilen und Weitergeben:

 

 

* P.S.: Dieser Artikel wurde in verschiedenen Zyklusphasen und unter Einbezug von nicht-menstruierenden Menschen geschrieben 🙂

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