Wahlen gewinnt man nicht mit Geld!
Wir freuen uns über einen Gastbeitrag von Matthias und Eugen in der aktuellen Ausgabe der politik & kommunikation (no. 112) zum Thema Geld.
Seit Anfang des Jahres steht fest, dass sowohl uns als Mitstreiter in der Sache als auch den Grünen in Baden-Württemberg ein Experiment bevorsteht: Es geht darum, die erste Führungskampagne zur Wiederwahl eines grünen Ministerpräsidenten zu entwickeln und zu gestalten. Die kommenden Monate werden nicht nur für uns und unseren Kunden besonders, sie stellen vor allem für die politischen Gegner ein Novum dar. Nach 62 Jahren hat sich die Landesfarbe vom Schwarzen ins Grüne verfärbt. Erwartungsgemäß steigt der Beschuss von der Gegenseite beachtlich. Die Stimmung in der Bevölkerung ist günstig: Kretschmann ist laut einer vom „Stern“ beauftragten Forsa-Studie aus dem Juli der beliebteste aktuell amtierende Ministerpräsident. Der Blick auf das Wahlkampfbudget verrät jedoch, dass die Ressourcen und Bedingungen nicht ansatzweise vergleichbar sind. Die Grünen werden im anstehenden Machtspiel nicht diejenige Partei sein, die am sichtbarsten und kostspieligsten mit ihrem Spitzenkandidaten auftreten wird. Das liegt nicht etwa nur an den unterschiedlichen Budgets. Es ist auch eine Frage der Haltung. Wir sind der Meinung: Einen Wahlkampf kann man nicht kaufen! Am Ende ist es nicht das Geld, das entscheidet.
Begeisterung für die Sache, nicht für das Budget
Wir wissen zwar, wie viel Geld aufgebracht werden muss, um die Bürger zur Wahl zu motivieren, die Kandidaten überzeugend darzustellen und die richtigen Argumente zu platzieren. Selbst in Deutschland reden wir über eine absurde Materialschlacht und Personenkult- Dimensionen. Dennoch wird diese schon jetzt vielbeachtete Wahl um die Zukunft Baden-Württembergs nicht durch bezahlte Reichweiten, sondern durch überzeugende Wertevorstellungen und sachorientierte Hingabe entschieden werden. Geld ist an dieser Stelle Mittel zum Zweck, nicht Ziel- und Ausgangspunkt für alle Überlegungen und Handlungen.
Diese Gedanken schweben auch über dem zweiten persönlichen Treffen zwischen Agentur und Kunde. Wir wollen noch mehr übereinander herausfinden, tiefer einsteigen in die Geschichte der Person hinter dem Amt.
Rückblick: Ein Biergarten an der Spree, mitten im politischen Berlin. Es ist Freitagmittag. Die Sonne springt an diesem Tag von Frühling auf Sommer. Vier Sicherheitsbeamte, zwei Mitarbeiter, ein Ministerpräsident und Wigwam. Es geht kurz um ein Treffen mit dem chinesischen Botschafter und diskussionsreiche Nachtstunden im Kanzleramt. Eine prächtige Kastanie spendet Ruhe und Schatten. Wir sprechen über Milan Kunderas Unerträgliche Leichtigkeit, über Bibelverse und Hannah Arendt. Dann beginnt der frühere Biolehrer über die Kastanie zu staunen. Es folgt eine Abhandlung über die zukünftige Bedeutung von Bäumen und die Einwanderungsgeschichte der Kastanie in hiesige Landschaften. Das Alter des riesigen Naturwunders wird geschätzt und kontrolliert. Wir reden fast eine Viertelstunde nur über die Kraft dieses Baumes. Es ist auch diese Leidenschaft für Sachthemen, die Menschen an Kretschmann schätzen.
Was heißt das nun konkret für die Kampagnenarbeit?
Zuerst müssen wir die extremen Unterschiede in den Budgetaufstellungen ernst nehmen und akzeptieren. Schon in der Auseinandersetzung 2011 konnten die Grünen mit ihren 600.000 Euro nicht gegen die Materialmassen zu je mehr als zwei Millionen Euro aus dem roten oder schwarzen Lager ankämpfen – und doch konnten sie die Wahl für sich entscheiden. Für 2016 stehen etwas mehr als eine Million Euro Budget zur Verfügung. Bei anderen Parteien handelt es sich bei solchen Summen ausschließlich um Mediabudgets. Bei den Grünen sind Personalkosten, Mietkosten, die Aufwände für Parteitage und Ausgaben für Dienstleister darin enthalten, das Missverhältnis von 2011 bleibt also bestehen. Laut „Stuttgarter Nachrichten“ plant die CDU für die kommende Wahl zwei bis 2,5 Millionen Euro ein, die SPD etwa 2,2 Millionen Euro.
Der Blick auf die Wahl 2011 zeigt, dass gewonnene Stimmen jedoch nicht in direkter Korrelation mit dem eingesetzten Etat stehen. Überzeugungen lassen sich nicht erkaufen. Unter den etablierten Parteien brauchten die Grünen am wenigsten Geld, um ihre Wähler zu mobilisieren. Bei einem Budget von 600.000 Euro konnten sie über 1,2 Millionen Wähler überzeugen, sie haben also umgerechnet 50 Cent pro Stimme ausgegeben. SPD und CDU mussten knapp 1,82 Euro beziehungsweise 1,03 Euro investieren. Linke und FDP lagen mit 5,37 Euro beziehungsweise 3,24 Euro nochmals deutlich darüber. Der schlichte Weg über mehr Geld und damit mehr Reichweite birgt eben auch die Gefahr, mit der Gießkanne zu hantieren und so Streuverluste zu kassieren.
Man muss im Wahlkampf nicht alle Menschen erreichen
Die besondere Herausforderung liegt darin, dass eine Regierungspartei mit ihrem Wirken alle Menschen mitnehmen muss, die Mobilisierung in der Wahlkampfphase erfordert jedoch eine zusätzliche Fokussierung: Wen sprechen wir gezielt an und wen nicht? Wir müssen im Wahlkampf nicht alle Menschen erreichen und mobilisieren, sondern diejenigen einbeziehen, die andere überzeugen können und wollen. Eine detaillierte Zielgruppenanalyse ist dafür unerlässlich. Für die richtige Ansprache braucht es schließlich einen Erzählstrang, der nichts erfindet, sondern Fakten herausstellt: Was ist die Geschichte der Partei? Welche Verbindung gibt es zwischen dem Land und der Partei? Was steht 2016 auf dem Spiel?
Dazu haben wir Umfragen und Interviews durchgeführt: mit führenden Persönlichkeiten aus der Landespolitik, mit Kreisverbänden sowie Fokusgruppen aus dem ländlichen wie auch aus dem urbanen Raum. Die Ergebnisse daraus helfen am Ende auch bei konkreten Maßnahmen wie dem E-Mail-Marketing oder bei der Mobilisierung der Fürsprecher. Bei letzterem ist der Unterschied zur CDU immer noch sehr deutlich: Sie zählt weiterhin neunmal mehr Mitglieder als die Grünen. Dafür können die Grünen pro Mitglied mehr Wähler mobilisieren. 2011 musste jedes CDU-Mitglied etwa 27 Wähler überzeugen, jedes SPD-Mitglied 31 und jedes Grünen-Mitglied 163. Das ist nur eine Hochrechnung, in der man die Stimmenzahl durch die Mitgliederzahlen dividiert – und doch zeigt sie, welches Potenzial in der Basisarbeit steckt. Die Herausforderung: Menschen zu erreichen, ohne sie zu belästigen; sie mitzureißen, auch wenn sie sich schon entschieden haben.
Diese Beziehungen zu den Bürgern und Mitgliedern sind die entscheidende Währung. Wir können die großen Bewegungen und Transformationen unserer Gesellschaft nicht auf Kostenrechnungen und Reichweiten reduzieren. Das eingangs erwähnte Experiment zielt nicht auf die Beantwortung der Frage ab, ob Geld eine Wahl entscheidet – sondern darauf, ob und wie wir es schaffen, diese Haltung kommunikativ und gestalterisch zu übersetzen. Und das mindestens „a Muggaseggele“ überzeugender als die anderen.
Bildquelle: silviaN (CC BY-NC-SA 2.0)