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New Work? Genossenschaft!

vonWera Steinam17.11.2020
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Eindrücke vom Teamausflug © Lena Giovanazzi

Ich behaupte, dass in einer Organisation die drei Aspekte Produktion (bzw. Dienstleistung), Arbeitskultur und Rechtsform nur zusammen gedacht werden können. Sie sind eng miteinander verknüpft und bedingen einander. Die oftmals von mir beobachteten Versuche mit Methoden von New Work die Arbeitskultur zu beeinflussen, greifen zu kurz und sind häufig nicht erstrebenswert. Ich möchte diesen Zusammenhang anhand meiner Erfahrung von vier Jahren Genossenschaft bei Wigwam im Detail beschreiben.


Wie wollen wir arbeiten? Die Chancen und Risiken der Digitalisierung beschäftigen Arbeitnehmer, Arbeitgeberinnen, Politiker, Wissenschaftlerinnen, Schüler, Künstlerinnen, Selbstständige uvm. Zeitgleich stehen wir als Gesellschaft vor enormen ökologischen Herausforderungen wie der Klimakrise, herbeigeführt durch nicht-nachhaltiges Wirtschaften. Es besteht ein Drang nach neuen Methoden und Konzepten. Zum einen, um sich in einer stets verändernden Welt behaupten zu können. Zum anderen, um einen System- und Wertewandel zu gestalten, bei dem der Mensch und seine Umwelt statt Profit im Zentrum des Handelns stehen. Dieses Streben hat eine lange Tradition. Viele Errungenschaften unserer heutigen Zeit lassen sich auf die Arbeitskämpfe seit der Industrialisierung zurückführen. In dieser Zeit entstand auch das Modell der Genossenschaft. Für Wigwam bedeutete die Umwandlung der Rechtsform von der GmbH zur eG vor vier Jahren den entscheidenden Schritt, die verschiedenen Ansprüche an gute Arbeit nach innen und außen übereinander zu bringen.

 

Ein Dreieck. An den Spitzen steht. 1. Was machen wir, Produkt, Dienstleistung. 2. Wie arbeiten wir, Arbeitskultur 3. Welchen Rahmen setzen wir uns dafür, Rechtsform

 

1. Was machen wir?

Seit seiner Gründung 2009 möchte Wigwam die Welt mithilfe von Kommunikation und den richtigen Mitstreiter*innen besser machen. Das war und ist schon immer der Kern unserer Arbeit. Beruflich sind wir Design Studio, Kampagnen Agentur und Organisationsberatung. Wir verknüpfen unsere Projekte außerdem mit einer Haltung: Das Ziel ist eine gerechtere und ökologische Gesellschaft. In den Projekten geht es um Freies Wissen, Kohleausstieg, Chancengleichheit, Menschenrechte, Artenvielfalt, Gesundheitssysteme, Bildung, Partizipation und vieles mehr. Die Themen sind divers, die Probleme auch. Zu der Frage, was „das Gute“ für uns bedeutet, sind wir stets im Austausch und in Diskussion miteinander. An Wigwam ist für mich schon immer besonders, dass wir uns diesen Fragen stellen, auch wenn die Antworten nicht immer zufriedenstellend sind. Wir sind uns bewusst, dass gut gemeint das Gegenteil von gut bedeuten kann. Dafür müssen wir uns gegenseitig und permanent begleiten und belesen, um die Fähigkeit kritisch und selbst zu denken zu erreichen und zu halten.

 

2. Wie arbeiten wir zusammen?

Unter Arbeitskultur verstehe ich die Summe der Regeln, Werte und Absprachen, nach denen bewusst oder unbewusst in einer Organisation gehandelt wird. Es geht dabei u.a. um Arbeits- und Entscheidungsstrukturen, Kommunikation, Arbeitsbedingungen und Gehälter.

Wir meinen das mit der Veränderung ernst und das schließt uns selbst mit ein. Wir müssen ausprobieren und lernen, wenn wir etwas erreichen wollen. Wigwam ist mehr als nur ein Ort, an dem Menschen zusammenarbeiten. Es ist auch ein sozialer Raum, in dem das Team mitgestaltet, mitentscheidet und stetig Neues entstehen lässt.

Im Wigwam haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Formate etabliert. Diverse davon finden wie in jeder anderen Agentur auch statt, z.B. Fachkreise, Tandems und tägliche Stand-Ups. Im monatlichen Rundlauf halten wir uns über die aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden. Auf unseren dreitägigen Strategietagen finden grundlegende Diskussionen und tiefgreifende Entscheidungen mit allen ihren Platz. Parallel dazu gibt es die „Hörnchenrunden“, unsere Kleingruppen, die sich für eine Stunde im Monat ohne festgelegte Struktur oder Thema treffen und austauschen.

Unsere Arbeitszeiten sind so verschieden wie unsere Lebensentwürfe. Ob sechs Stunden jeden Tag, drei Tage über fünf verteilt, acht Stunden an vier Tagen. Es ist alles dabei. Die Arbeitszeiten müssen sich mit der Familie, mit einer weiteren Ausbildung, einem zweiten Job oder Studium vereinbaren lassen.

 

3. Welchen Rahmen setzen wir dafür?

Die Rechtsform der GmbH führte über die Zeit zwangsläufig zu einer Schieflage. Auf der einen Seite standen die Selbstorganisation und ein Team, das mitentscheiden durfte und sollte. Auf der anderen Seite gab es drei Geschäftsführer*innen, die auch Gesellschafter*innen waren, die die Haftung und im Zweifel die Konsequenzen trugen. Zwei der drei Personen aus der Geschäftsführung entschieden 2015 aus unterschiedlichen Gründen einen neuen Weg einzuschlagen. Die dritte Person stand kurz vor ihrer Elternzeit. Die Stellen einfach neu zu besetzen und damit das Knirschen beizubehalten kam für das Team nicht in Frage. Es war der Anlass sich eine neue Form zu suchen.

Wir holten uns Hilfe für eine Beratung zu Rechtsformen. Die Entscheidung für die Genossenschaft stand schnell fest. Es war März 2016. Und bis August musste alles über die Bühne gebracht sein: Satzung schreiben, Geschäftsplan verfassen, Prüfungsverband finden, eine Generalprobe der Wahlen, die Gründungsversammlung und schlussendlich der Kauf der GmbH. Das natürlich möglichst nebenbei, denn die Projekte blieben der Kern unserer Arbeit.

Und nun besitzen wir das Wigwam gemeinsam. Wir sind alle Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in gleichzeitig. Wir wirtschaften gemeinsam und haften gemeinsam. Der Zweck ist nicht die Profitsteigerung, sondern die Förderung der Mitglieder. Eine Spekulation der Wertsteigerung von Anteilen ist nicht mehr möglich, da der Anteil bei Ein- und Auszahlung gleich bleibt. Wir wählen unseren Vorstand und Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat kontrolliert und begleitet den Vorstand in seiner Geschäftstätigkeit. Der Prüfungsverband kontrolliert und begleitet die Genossenschaft ebenfalls. (Eine Liste der Vorteile findet ihr auf unserer Genossenschaftsseite.)

 

Entkopplung von Personen und Rollen

Eine weitere sehr wichtige Errungenschaft liegt in der Entkopplung von Personen und Rollen. Es ist ein sehr großer Unterschied, in welcher Rolle ich im Unternehmen aktiv werde und spreche. Der Aufsichtsrat kann selbstverständlich in alle Unterlagen des Vorstandes Einsicht nehmen und Entscheidungen im Team anstoßen. Der Vorstand übernimmt die Geschäftsführung und hat damit die Gesamtlage des Wigwams im Blick.

Durch die Wahlen entsteht eine Rotation in den Ämtern. Das erzeugt eine enorme Wertschätzung auf beiden Seiten. Menschen, die einmal in diesen Ämtern waren, wissen um den Aufwand dieser Arbeit. Und Menschen, die das Wigwam anders gestalten möchten, können bei der nächsten Wahl selbst für diese Ämter kandidieren. Eine Organisation aus verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen, ist für alle Beteiligten sehr bereichernd. Außerdem beugen wir somit Situationen vor, in denen starre Rollen so sehr mit Personen verwachsen, dass als Folge strukturelle Konflikte persönlich ausgetragen werden. Das Ausscheiden aus einem Amt bedeutet deshalb keinen Abstieg, sondern eher ein Hinwenden zu anderen Herausforderungen und Rollen.

 

Produktion, Kultur und Rechtsform gehören zusammen

Die Grundlagen der Genossenschaft sind großartig. Denn sie beeinflussen unser gemeinsames Arbeiten und unsere Begegnungen enorm. Alle drei Aspekte der Organisation tragen auf ihre Art und Weise zu unserer Idee von einer guten Arbeit bei. Und keines dürfte fehlen: Selbstorganisation für Projekte entgegen unserer Werte?
Der Einsatz für eine bessere Welt ohne eine wohlwollende Arbeitsatmosphäre?
Mitbestimmung ohne Beteiligung am Wert des Unternehmens?

 

Formate verweben

Interessant ist, dass sich das Wigwam zwar hier und da Inspiration holt, aber es nie einen Bauplan für eine Arbeitskultur gab. Wir wollten nie New Work oder Holokratie ausprobieren. Eher ist es so, dass der Begriff zu dem passt, was wir sowieso aus uns heraus entwickelt haben und tun. Wir orientieren uns stattdessen daran, wie wir leben wollen, was wir für die Gesellschaft als gut erachten und was Energie mit sich bringt.

 

Dreick der Formate: Agentur (z.B. Stand-up), Selbstorganisation (z.B. Strategie-Tage), Genossenschaft (Vorstand, Aufsichtsrat, Generalversammlung)

 

Wir haben für unseren Arbeitsalltag Formate und Strukturen, die sich aus der Kommunikations-Agentur und Selbstorganisation ergeben, mit denen der Genossenschaft verwoben. Beispielsweise gibt es also Projektteams, Kreisstrukturen und eine Generalversammlung. Das war uns zu Beginn der Genossenschaft gar nicht bewusst, hilft in der Klarheit aber zu verstehen, wie wir funktionieren.

Unsere Erfahrung zeigt, dass diese Formate perfekt zusammenpassen. Und mehr noch: Erst mit der Ergänzung von demokratischen Grundregeln der Genossenschaft können die Methoden von Selbstorganisation und New Work ihre positive Wirkung auf die Organisation und die Menschen darin entfalten.

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