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Mal wieder über Geld reden: ein FAQ zu unserem Wunschgehalt

vonWigwamam26.04.2021
Autor*innen:
Wera Stein, Gabrielle Falzone, Eugen Friesen
Mitarbeit:
Alina Goldberg, Max Beckmann, Robinson Meinecke
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Seit Einführung des Wunschgehalts vor über vier Jahren haben wir uns unendlich viele Fragen gestellt. Wir haben untereinander und mit anderen ziemlich viel darüber geredet. Wir haben viele Interviews dazu geführt und haben uns „Auf der Suche nach dem fairen Gehalt“ für eine WDR Doku begleiten lassen. Mit diesem FAQ wollen wir nun allen Interessierten in portionierten Häppchen Antworten auf unser Wunschgehalt ermöglichen und den ersten Fragehunger stillen. Und auch wir selbst stoßen immer wieder auf neue Fragen und ergänzen diese hier gerne, sobald wir Antworten gefunden haben.


I. Das Modell

 

1. Wie funktioniert das Wunschgehalt?

Jedes Mitglied gibt innerhalb des Wigwam Teams transparent an, was es mit Blick auf die eigenen Lebensumstände, persönliche Arbeits- und Lebenserfahrung sowie aktueller Wünsche verdienen möchte. Begründet werden muss der eigene Wunsch aber nicht. Liegt die Gesamtsumme aller Wünsche über dem, was wir uns auszahlen können, wird das Bruttogehalt anteilig zum Wunsch berechnet. Die Gehälter steigen, sobald die wirtschaftliche Lage es zulässt und wir beschließen, das zusätzliche Geld für die Gehälter einzusetzen. Das heißt: Unsere Gehaltswünsche sind verschieden. Bei der Differenz der Beträge zwischen Wunsch und Realität behandeln wir aber alle gleich.

 

2. Zahlt das Wigwam Wunschgehälter?

Bei Einführung des Wunschgehalt-Modells 2016 konnten wir 80% des Wunschgehalts auszahlen, inzwischen sind es 93% (Stand: Februar 2024). Der Vorstand hat die Finanzen im Blick und wertet die wirtschaftliche Lage aus, errechnet das Gehaltsbudget und entscheidet, ob und um wie viel wir unsere Gehälter erhöhen können. In diesem Zusammenhang findet auch einmal im Jahr eine Anpassung der Wünsche statt. Dann heißt es wieder: „Anpassungs-Wochen im Wigwam“ für das ganze Team! Es gibt also keine individuellen Gehaltsverhandlungen. Seit Einführung des Modells sind die tatsächlich ausbezahlten Gehälter im Durchschnitt pro Jahr um 10% gestiegen – bei gleichzeitig weiter steigenden Wunschgehältern. So lässt sich der im Vergleich dazu moderate Anstieg von 80 auf 93% erklären.

 

3. Wer ist Teil des Wunschgehalts und wer nicht?

Alle von Vorstand über Putzmann bis zur Art Direktorin. Jede*r, der/die beim Wigwam fest angestellt arbeitet und mit der Probezeit fertig ist, steigt in das Wunschgehaltsmodell ein.

 

4. Was passiert, wenn sich eine Person ein besonders hohes Gehalt wünscht?

Nach oben haben wir keine Grenze gesetzt. Wir setzen zum einen auf eine starke gemeinsame Kultur und regelmäßigen Austausch. Zum anderen sorgen transparente Unternehmens- und Gehaltszahlen für Orientierung. Es ist zu jedem Zeitpunkt klar, wie groß das Gesamtbudget ist und wie viel jede und jeder davon erhält. Uns ist wichtig, dass keine bestehenden Gehälter sinken, auch wenn eine neue Person ein sehr hohes Wunschgehalt angeben sollte.

 

5. Was passiert, wenn sich eine Person ein besonders niedriges Gehalt wünscht?

Die Gefahr einer Selbstausbeutung für die gute Sache ist uns bewusst. Wir wollen nicht, dass jemand aufgrund von Schüchternheit, Zurückhaltung oder geringerem Verhandlungsgeschick bzw. -erfahrung zu wenig einfordert. Deshalb ist uns eine Gehaltsuntergrenze wichtig: weniger als 2.700 Euro Brutto für eine Vollzeitstelle von 38,5 Stunden sollte niemand bekommen. Es ist auch schon vorgekommen, dass Kolleg*innen von anderen animiert wurden, sich mehr zu wünschen. Dafür sind die Kleingruppen im Vorlauf der jährlichen Anpassung wertvoll (siehe auch Frage 10).

 

II. Entstehung des Wunschgehalts

 

6. Seit wann gibt es das Wunschgehalt im Wigwam und wie kam es dazu?

Mit dem Wandel in eine Genossenschaft 2016 waren wir alle plötzlich Arbeitgeber*innen und –nehmer*innen gleichzeitig. Die logische Konsequenz aus gemeinsamem Wirtschaften, Mitbestimmung und gemeinsamer Haftung war die volle Transparenz, was unsere Finanzen und Vergütung angeht. Die klassische Verhandlungssituation zum Gehalt kam nicht mehr in Frage. Zudem arbeiten wir selbstbestimmt und selbstorganisiert, warum sollte dann eine Person oder eine kleine Gruppe über das Gehalt einer Person entscheiden? Denn genau in diesen Situationen kommt es letzten Endes doch stark u.a. auf das persönliche Verhandlungsgeschick an. Dazu kommen weitere subjektive Parameter, wenn eine Person z.B. die Arbeitserfahrung, Kompetenz, Ausbildung einer anderen Person bewerten und in eine Vergütung übersetzen soll (siehe auch Frage 7). Wir dachten: diese Einschätzung kann jede*r selbst am Besten treffen. Zusätzlich schaffen wir die notwendigen Austauschformate im Team als Rahmen, damit die Gehaltsfindung nicht zur Solonummer wird und die Blickrichtung auf das Thema eine ähnliche ist.

 

7. Gab es Alternativen? Und wie sahen sie aus?

Eine der Ideen war ein Modell mit verschiedenen Faktoren, die das Gehalt beeinflussen: Bedarf, Leistung, Verfahren (z.B. Jahre im Wigwam, Kinder usw.). Dabei fiel auf, dass es nie für alle gerecht wird. Ein Beispiel: Einmal ist es ungerecht, wenn die Ausbildung nicht berücksichtigt wird, beim anderen ist das aber nachteilig bei gleichen Kenntnissen als Autodidakt*in. Wir verwarfen diese Idee also gleich zu Beginn. Auch ein Einheitsgehalt war im Gespräch. Das fanden die meisten in Anbetracht unserer verschiedenen Lebenssituationen und -erfahrungen aber auch nicht fair.

 

III. Gerechtigkeit in Zahlen

 

8. Ist das Wunschgehalt gerecht?

Was heißt eigentlich „gerecht“, wenn es um Gehälter geht? Wenn alle das Gleiche verdienen? Wenn diejenigen am meisten bekommen, die am meisten im wirtschaftlichen Sinne leisten? Oder die am meisten brauchen? Auch wir haben im Team intensiv diskutiert und natürlich nicht die eine ultimative Antwort darauf gefunden, nach der wir alle gesucht haben. Am Ende haben wir die Diskussion vor allem auf die Frage heruntergebrochen, ob man selbst mit seinem Gehalt für sich zufrieden sein kann, es sozialverträglich für das Team und das Wigwam ist. Wir versuchen die Transparenz und die Abläufe dafür zu nutzen, dass alle auch die Wigwam-Perspektive einnehmen können und müssen, da sich diese von der persönlichen Situation abhebt. Wir sind uns bewusst, dass wir mit dieser Lösung keine absolute Gerechtigkeit herstellen können. Aber es ist das beste Modell, was wir bisher gefunden haben und was gut zu uns passt.

 

9. Wie viel verdienen die Mitarbeiter*innen?

Das jeweilige Wunschgehalt ist im Durchschnitt zu rund 90 Prozent realisiert – bei einem aktuellen Durchschnittsgehalt von monatlich je 3.116 Euro Brutto. Dabei ist wichtig zu wissen: die meisten von uns arbeiten nicht Vollzeit. Die durchschnittliche Arbeitszeit im Wigwam liegt aktuell bei ca. 29 Stunden/Woche (Stand: Februar 2024). Was dabei nicht in Vergessenheit geraten sollte: Die Möglichkeit, Arbeitszeit und -ort (bis hin zum Wohnort) flexibel gestalten zu können sowie sich Projekte und Themen auszusuchen, an denen jemand arbeiten möchte, ist neben der Vergütung ein wichtiger Aspekt für Zufriedenheit.

 

10. Wie beeinflusst das Gehaltsmodell den Gender Pay Gap?

Ein großer Vorteil dieser „New-Pay“-Methode: Es entsteht kein Gehaltsgefälle, weil der eine Kollege aggressiver verhandelt als die andere oder vielleicht mit der Vorgesetzten im gleichen Fitnessstudio trainiert – oder eben einfach aufgrund des Geschlechts. Tatsächlich war der Gender Pay Gap in den ersten Jahren des Wunschgehalts nicht vorhanden. Nach der Gehälterrunde im März 2021 bekamen Frauen jedoch im Durchschnitt 3,8% weniger Stundenlohn und 11% weniger Bruttogehalt ausgezahlt. Letzteres lässt sich z.T. damit erklären, dass sie zu dieser Zeit im Durchschnitt weniger Stunden pro Woche gearbeitet haben als die männlichen Kollegen. Das hat sich wieder verändert: Seit der letzten Gehälterrunde bekommen Frauen im Durchschnitt 1,2% weniger Stundenlohn und 6,2% mehr Bruttogehalt ausgezahlt (Stand: Februar 2024).

 

IV. Gelerntes und Grenzen

 

11. Was hat das Wigwam daraus gelernt?

Das Wunschgehalt ist zum großen Teil ein sich selbst regulierendes soziales System. Auch wenn jede*r das Wunschgehalt persönlich für sich festlegt, ist der Austausch dazu untereinander essenziell. Also: Mehr (und auch strukturiert) drüber reden und den Team-Faktor hoch halten. In der ersten Wunschgehaltsrunde haben die Mitarbeitenden jede*r für sich am eigenen Rechner die Zahl in eine Tabelle eingetragen. Auch wenn die Verantwortung bei jeder und jedem selbst liegt, ist es doch wichtig, einander zu begleiten und das gemeinsam zu reflektieren. Deshalb haben wir inzwischen z.B. Kleingruppen im Vorfeld der jährlichen Anpassung eingeführt. Dort reden Kolleg*innen untereinander in einem geschützten Raum über alles rund ums Gehalt und Finanzen, ob sie erhöhen oder nicht und warum. Es geht dabei nicht um Rechtfertigung, sondern gegenseitiges Verständnis füreinander. Außerdem stoßen wir durch diese gemeinsame Reflektion auf neue Fragen, und die sind entscheidend bei der Weiterentwicklung des Modells.

 

12. Was sind die Herausforderungen dieses Modells?

Es gibt Baustellen, an denen wir immer wieder weiterarbeiten. Zum Beispiel wenn neue Mitarbeiter*innen hinzukommen, die den Prozess zum Wunschgehalt nicht selbst mitgestaltet und mitbekommen haben. Wir haben gemerkt, wie wichtig es ist, den Entstehungskontext zu vermitteln, aber genauso diese frische und unvoreingenommene Perspektive miteinzubeziehen. Das Wunschgehalt kann nicht einfach als eine Zahl verstanden werden, sondern steht im Kontext von Arbeitskultur, Rechtsform sowie der Idee des gemeinsamen Wirtschaftens. Es ist damit immer auch offen für Anpassungen und Veränderungen. Anfangs hatten wir z.B. ein einheitliches Einstiegsgehalt für alle Neuen und erst nach der Probezeit war es möglich, sich ein Gehalt zu wünschen. Das erschien uns und den Bewerber*innen auf dauer jedoch nicht gerecht. Nun haben wir ein Probezeit-Wunschgehalt, in dem sich die Person innerhalb einer Spanne selbst einordnen kann. Das „Onboarding“ einer neuen Person ist und bleibt weiterhin eine große Aufgabe. Und das Wunschgehalt ist eben ein wichtiger Teil des Neuankommens neben Aspekten wie Genossenschaft, Selbstorganisation und natürlich der Projektarbeit.

 

13. Lässt sich das Modell auf andere Organisationen übertragen?

Vielleicht. Wahrscheinlich eher nicht – und das wäre vermutlich auch nicht sinnvoll. Das Modell basiert darauf, dass wir als Mitglieder der Genossenschaft das Unternehmen gemeinsam besitzen, gemeinsam wirtschaften und haften. Das macht uns gleich in der Verantwortung für Risiko und Gewinn. Auf der anderen Seite sind wir Menschen in verschiedenen Lebenssituationen und bringen unterschiedliche Fähigkeiten ins Wigwam ein. Das macht uns verschieden in der Abhängigkeit von und dem persönlichen Umgang mit Geld. Letzten Endes ist das Wunschgehalt ein Ergebnis und Produkt unserer Form des gemeinsamen Wirtschaftens als selbstorganisierte Genossenschaft für „die gute Sache“. Deshalb lässt sich das Wunschgehaltsmodell, wie wir es haben, wohl nicht 1:1 woanders einsetzen. Eher ist es der gemeinsame Prozess zu einem passenden Modell, der sich auch für andere Organisationen lohnen kann – wenn er die jeweiligen Umstände einbezieht und miteinander, ehrlich und ergebnisoffen durchgeführt wird.

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