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Der Feind in meinem Netz

vonMaike Janssenam15.03.2015
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Wie der internetgestützte Terrorismus das Campaigning verändert

„Hallo Deutschland, hier seht ihr: Wir sind nicht diese bösen Salafisten. Hier kann man leben, Spaß haben – ich lade euch ein zum Djihad!“ Ein junger Mann stapft fröhlich durch den Schnee, als er diese Botschaft in die Kamera spricht. Gleich wird es eine Schneeballschlacht zwischen ihm und seinen schwer bewaffneten Kumpels geben, dann folgt eine Ansprache zur Notwendigkeit des Djihad. Denis Cuspert, ehemaliger Rapper aus Berlin, beherrscht die Klaviatur des modernen mediengestützten Terrors perfekt.

YouTube-Videos, die Anhänger auf der ganzen Welt an den „Märtyrertaten“ des IS beteiligen, Twitter-Accounts von Multiplikatoren, die das Image des islamistischen Terrors im Minutentakt aktualisieren, Live-Chats zwischen Kämpfern in Nahost und Zögerern im Westen. Der IS weiß um die Wirkung starker Geschichten und machtvoller Bilder. Er hat in puncto Aktualität und produzierter Grausamkeit neue Maßstäbe gesetzt, zudem setzt er besonders effektiv die Fähigkeiten der „Digital Natives“ aus den eigenen Reihen ein. Doch was ist das wirklich Neue dieser perfiden Medienstrategie? Und was davon sollten wir kennen, um die Maschinerie des Bösen zu verstehen?

Extremismus im Netz

Die Sozialen Medien sind nicht nur für die djihadistische Bewegung von zentraler Bedeutung. Islamfeindliche und neonazistische Gruppierungen setzen die dezentralen Kommunikationsmittel genauso gezielt ein, man denke nur an die Reichweite von Pegida auf Facebook, die mit über 150.000 Fans alle politischen Parteien in Deutschland in den Schatten stellt. Die Vorteile der Sozialen Medien gegenüber den klassischen Medien liegen auf der Hand: Sie sind schneller, dezentral mit Inhalten zu füllen,immer auch persönlich konnotiert und vor allem vernetzt. Weil ihnen eine zentrale Gatekeeper-Funktion fehlt, müssen Inhalte weder formellen noch politischen Qualitätsansprüchen genügen. Und so wird die „demokratischste aller Medienformen“ längst schon von extremistischen bis menschenverachtenden Ideologien infiltriert, pflegt Cat-Content im Netz eine irritierende Koexistenz mit Enthauptungsvideos.

Ist deshalb das Internet kaputt? Hatten immer schon diejenigen Recht, die vor den Gefahren des Internets warnten? Die Technik-Soziologin Zeynep Tufekci erwidert die immer wiederkehrende Frage: „Is the Internet good or bad?“ lakonisch mit einem: „ Yes.”

Sind die Begriffe kaputt?

Um dem Neuen auf die Spur zu kommen, ist es vielleicht fruchtbarer, sich die Begriffe – neudeutsch: das Wording – anzuschauen, mit denen in Sachen Mobilisierung hantiert wird. Campaigning brauchte bislang keinen Zusatz, Campaigning erfolgte irgendwie meist für gemeinnützige oder mindestens demokratische Zwecke. Wer in Deutschland als Campaigner/in arbeitet, ist bei Amnesty International, dem WWF oder dem BUND angestellt. Und nicht bei der NPD.

Dennoch gibt es in allen politischen Parteien und Splittergruppen gleich welcher Couleur Botschafter, Multiplikatoren oder Öffentlichkeitsarbeiter, die sich derselben Instrumente bedienen wie der klassische Campaigner. Eine starke Story entwickeln, passende Bilder und Botschafter finden, den richtigen Kanal zur Zielgruppe finden. Was in den Händen der einen für eine sozialere und gerechtere Gesellschaft sorgen soll, wird im Griff der anderen zur zerstörerischen Waffe. Guerilla-Campaigning arbeitet häufig mit Grenzüberschreitungen und ‚hackt‘ sich in fremde Kontexte, um wie das US-Aktivisten-Duo „The Yes Men“ doch nur das Gute zu verteidigen, während das sogenannte Astroturfing („Kunstrasenbewegung“) ein vermeintlich breites Interesse für kommerzielle Zwecke inszeniert. Die Motivation hinter dem Campaigning mit zu benennen und moralisch zu bewerten, ist diesen Benennungen also geglückt. Sollten wir dann nicht auch das Campaigning für anti-demokratische, zerstörerische Zwecke beim Namen nennen? Evil Campaigning findet schließlich statt, und das mit einer nie gekannten Wucht aus Echtzeit-Bildern, Propaganda und Peer-to-Peer-Mobilisierung.

Die Maschinerie des Bösen

„Die zwangsläufige formale Kondensation der IS-Propaganda macht die gesamte westliche Unterhaltungsindustrie zu ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilung“ meint Arne V., Kulturschaffender und Theatermacher aus Berlin. Wobei „der Westen“ dabei keinesfalls den fremden Gegenpart zu den Kriegsschauplätzen des Djihad darstellt. Vielmehr ist es der geschickte Einsatz von Social Media durch Kämpfer aus westlichen Ursprungsländern, die den Extremismus zum multimedialen Ereignis machen. Wissenschaftler vom Londoner „International Centre for the Study of Radicalisation“ (ICSR) untersuchten, inwieweit die IS-Kampfhandlungen in Syrien neue Djihad-Kämpfer anlockte. Laut ihrer Studie sind vor allem die Multiplikatoren wichtig, deren Tweets unter den ausländischen IS-Anhängern vom aktuellen Stand des Djihad berichten. Mit Reaktionen aus aller Welt, Echtzeit-Schnappschüssen vom Alltag an der „Front“, Feuergefechten und Märtyrer-Feiern.

Über den Microblog-Dienst, aber auch über YouTube oder Whatsapp verbreiten die Neuzeit-Terroristen aber längt nicht mehr nur Schnappschüsse oder Material von Dritten. Mit dem „Al-Hayat Media Center“ hat sich der IS eine eigene Nachrichtenagentur erschaffen, die unermüdlich bildgewaltigen Informations-Nachschub für die eigene Anhängerschaft produziert – und für alle, die es mit der Angst zu tun bekommen sollen.

Einen unbeabsichtigten Part in der Maschinerie des Bösen spielen auch die Algorithmen sozialer Netzwerke. In einem Experiment legte der Forscher Kavé Salamatian 25 Profile für erfundene Personen zwischen 15 und 25 Jahren an und folgte einigen Seiten, u.a. von pro-palästinensischen Gruppen. Nach einigen Tagen ließ er die Profile automatisch alles liken, was vom Facebook-Algorithmus vorgeschlagen wurde. Das Ergebnis: In etwa einer Woche wurde jede fünfte der scheinbar orientierungslosen Cyber-Personen kontaktiert, um als IS-Kämpfer für Syrien und den Irak anzutreten.

Das Neue im Neuen

Terrorismus als Live-Happening, Enthauptungen und Anschläge per Livestream – ist das das Neue am Evil Campaigning? Die Internet-Djihadisten, die den Geschehnissen oft erst multimedial die gewünschte Aufmerksamkeit verschaffen, fungieren nach Expertenmeinung als Rückgrat der tatsächlichen Kampfhandlungen. Derartige Rückkopplungen zwischen Netz und Kampf gab es in dieser schnelllebigen, dezentralen Art sicher noch nie.

Daraus speist sich vor allem ein neuartiges Bewusstsein, mit dem Terroristen ihre Gräueltaten verüben. In dem Wissen, sofort und für immer sichtbar zu sein für die globale Gemeinschaft, kämpft es sich mit Blick auf den Futur 2: Ich werde jemand gewesen sein.

Als Rapper „Deso Dogg“ war Denis Cuspert nur mäßig erfolgreich. Als Botschafter des Terrors ist er so unsterblich wie unbesiegbar geworden, dem Netz sei Dank.

Dieser Artikel wurde in leicht gekürzter Form in der Extra-Beilage von Der Freitag zur reCampaign am 12. März 2015 veröffentlicht.

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