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Das Leben lässt sich nicht drängen.

vonAnuschka Haakam29.07.2014
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Dieses Sprichwort der Massai ist vielleicht Sinngeber dieser lang geplanten Reise. Die Rückgabe eines Zahnes brachte meinen Sohn und mich, anderntags noch Office Managerin bei Wigwam, im Juli 2014 nach Tansania.

Mein Urgroßvater hat mit diesem Zahn in der Zeit der deutschen Kolonialisierung in Ostafrika ein unrühmliches Erbe für unsere Familie angelegt. Der Zahn gehörte einem afrikanischen Sultan, der sich jahrelang gegen die Deutschen wehrte und sich am Schluss das Leben nahm. Meine Familie hielt über 116 Jahre den Zahn in ihrem Besitz. 10 Jahre lang versuchten mein Bruder und ich, die Familie zu einer Rückgabe umzustimmen. Eine einhellige Meinung konnte in unserer großen Familie aber leider nicht entstehen. So entschlossen wir uns dazu, diese wichtige Versöhnungsreise auch mit dem Gegenwind der engsten Familie anzutreten.

Eine Reise beginnt

Im Juli 2014 ist es endlich so weit. Schon die Ankunft in Dar Es Salaam stimmt uns auf die weitere Reise ein. Über 4 Stunden sitzen wir im Zoll und beobachten während der Wartezeit, wie das Wasser aus der Decke rinnt. Anscheinend wird das Wasser der Klimaanlage ohne ein Rohr direkt auf das Gepäckband geleitet. Ein paar Minuten später gibt es einen Stromausfall.

Stunden später und eine kurze Nacht darauf sitzen wir am nächsten Morgen im Bus in den 500 km entfernten Ort der geplanten Übergabe. Wir sind sehr erstaunt, wie grün die Landschaft ist, wie fruchtbar der Boden – und wie überwältigend groß die Armut. Die Geräte der Kleinbauern sind Pflug und Ochse, die Frauen stampfen Hirse und Maiskörner wie vor 100 Jahren im Holzmörser.

Wir haben nur 2 Tage, um den heutigen Sultan und seine Familie zu treffen. Diese Tage sind seit einem Jahr durch regen Brief- und E-Mailverkehr über den Sekretär des Sultans, Verwandte und Historiker vorbereitet worden. Das Oberhaupt empfängt uns in seinem „Palast“ . Ein U-förmiger, zweistöckiger Ziegelbau. Die Fenster sind mit Pappe, Brettern und Ziegelsteinen zugebaut , auf dem sauberen Lehmboden ist ein Sisalteppich für die Frauen ausgelegt. Die Männer und Gäste sitzen im Halbkreis auf europäischen Holzstühlen. Mir wird ein dreibeiniger, afrikanischer Hocker zugewiesen.

Knigge für einen Besuch beim Sultan

Ich kenne mich nicht mit dem afrikanischen Protokoll bei einem Sultanbesuch aus und schiele immer wieder zu seinem Sekretär. Kann er mir Benimm-Beihilfe leisten? Er kann. Er winkt mit der Hand nach oben; wir sollen aufstehen. Er wedelt mit den Finger – ein bisschen zur Seite gehen? Beide Unterarme werden nach unten gestreckt – aha, jetzt wieder setzen. Aber wann dürfen wir reden, wann redet überhaupt jemand?

Was etwas holprig beginnt, wird immer ungezwungener: Wir bedanken uns dafür, vom Sultan empfangen zu werden. Er erwidert, wie froh er sei, dass wir uns kennenlernen. Stockend lese ich dann unsere vorbereitete Rede vor:

„Wir wünschen uns, dass durch die Rückgabe des Zahnes , einem für unsere Familie auch belastendem Vermächtnis, nicht nur die Seele des Sultans Ruhe findet, sondern auch die kulturelle und spirituelle Seele ihres Volkes Frieden findet. Wir möchten mit der Rückgabe auch unseren Respekt vor dem Glauben und der Kultur der Hehe ausdrücken.

Wir möchten die persönliche Verbindung unserer beider Familien zum Anlass nehmen, unser Bedauern und unser Mitleid ausdrücken, dass unsere Ahnen nach dem Tod des Sultans mit seinem Körper auf unehrenhafte Weise umgegangen sind. Es tut uns leid, dass sie die Verschleppung von Frauen und Kindern während des Kampfes um die Ländereien billigend in Kauf genommen haben und nach seinem Tod seine Familie auseinander gerissen und voneinander getrennt haben.“

tanzania

Endlich heil werden

Seit dem Anfang der Reise trage ich den Zahn, der zu einem Anhänger verarbeitet wurde, um den Hals. Bei den letzten Zeilen nehme ich ihn in meine Hand und überreiche ihn dem heutigen Sultan. Er strahlt, die Familie läuft zusammen und lacht, unsere Kinder machen Selfies mit dem Peacezeichen und teilen ihre E-Mailadressen untereinander. Mit großer Ruhe beobachte ich alles und denke, endlich: ENDLICH können unsere beiden Familien ausheilen.

Ich wünsche mir auch, dass diese Reise auch für andere Familien beispielgebend sein kann. Was man daraus lernen könnte? Dass es in unserer Hand liegt, die Rückgabe von sensiblen Objekten, von rituellen Kulturgegenständen, die in kriegerischen Auseinandersetzungen erbeutet wurden, umzusetzen. Nicht nur Trophäen, auch Knochen, Körperteile gehören zu dem oft schweren Erbe der Ahnen. Mit einer Rückgabe, der Bitte um Verzeihung und dem Ausdruck unseres tiefsten Bedauerns um das zugefügte Leid können beide Seiten einen neuen Anfang beginnen.

„Der Tanz ist neu!“

Auf der weiteren Reise über die Usambara-Berge und an der Küste zurück hören wir immer wieder den Song eines tansanischen Musikers: „Wanitaka: Sikiliza hapa ngoma mpya iitwayo Wanitaka kutoka msanii mkali wa kuimba nchini.“ Übersetzt: „Hören sie genau hin, dieser Tanz ist neu!“

Nach meiner Rückkehr nach Berlin und zu Wigwam sehe ich, wie viel Wahrheit dieser Satz enthält, „der Tanz ist neu“. Seit zwei Jahren gehöre ich zu Wigwam und Begriffe wie: Global warming, Social-media, Online-Petitionen, digital, transmedial, Share Policy, Open Source sind „aktive Worte“ geworden. Hier wird angepackt, werden Ideen ausgetauscht und umgesetzt. Gemeinwohlorientierte Konzepte werden entworfen und versucht ins Leben zu integrieren. Auch bei unserer Reise habe ich eine Idee gehabt und dieses Ziel verfolgt mit dem Wunsch, für mindestens zwei Familien Versöhnung anzuregen. Wie toll ist es, von Menschen aus deiner nächsten Umgebung so viel Unterstützung zu erhalten!

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